Texte zu Ausstellungen
Ausstellung im Haus am Wasser, Bremen-Vegesack Januar1991
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Ausstellung Haus am Wasser |
Aus: Weserkurier, Januar 1991, zur Ausstellung im Haus am
Wasser
Die Farbe ist ein wichtiges Baumaterial
Vegesack (wel). Der Delmenhorster Künstler Siegmund Schneider stellt
seine Ölbilder und Zeichnungen im Haus am Wasser an der Weserpromenade
2 aus. Die in Zusammenarbeit mit der Kommunalen Galerie Bremen organisierte
Ausstellung trägt den Titel „Archipittura". Sie wird am
Mittwoch, 23. Januar um 19 Uhr eröffnet und ist in Vegesack bis zum
3. März zu sehen.Schneider, Jahrgang 1953, der nach der Schule zunächst
eine Fernmeldeausbildung absolvierte, danach zehn Jahre als Handwerker
und Techniker gearbeitet und sich erst relativ spät zu einem Studium
entschlossen hatte — er studierte von 1981 bis 1986 an der Hochschule
für Kunst und Musik bei Professor Jürgen Waller — ist
in der Hansestadt kein ganz Unbekannter mehr.
In Bremen stellte er im Rahmen des „Kunstfrühlings 1985"
aus, zeigte eigene Arbeiten im Cafe Grün (1986) und in der Weserburg.
Im Rahmen von Gruppenausstellungen war er bereits vertreten in Düsseldorf,
Bonn und Delmenhorst. Beim Kunstverein Ganderkesee wird Siegmund Schneider
im April eine weitere Ausstellung haben.
„Archipittura" — Architekturmalerei — hat Schneider
seine Ausstellung in Vegesack überschrieben, und es sind durchaus
ungewöhnliche Architekturbilder, die er da zeigt. Seine großformatigen
Arbeiten lassen an Entwürfe von Frank Lloyd Wright denken, an Mies
van der Rohe und Le Corbusier, an die vom Futurismus geprägte Pläne
von Mario Chiattone und an Bebauungsschemata wie sie van Festeren und
Pineau für die Verkehrsstadt der 20er Jahre entworfen haben. Hinweise
auf die klassische Moderne gibt es und auf die durch und durch menschenfeindliche.
Denkmalsarchitektur des Faschismus.
Irgendwie bedrohlich sieht diese „Architektur" aus. Menschen
sind nicht zu sehen auf diesen Bildern, aber man ahnt, daß sie sich
winzig ausnehmen würden im Vergleich zu den Bauten. Die freilich,
sieht man nur genauer hin, sind im Grunde gar nicht zu nutzen oder zu
bewohnen.
Da wird weder eine Architektur gezeigt. die es gab oder gibt, und auch
keine, die es geben sollte. Da spielt der Künstler mit einem bekannten
Formenkanon und setzt aus Einzelteilen ein Neues zusammen. Das scheinbar
Gegenständliche verliert seine Eindeutigkeit und wird integriert
in eine im Grunde ungegenständliche Malerei, auch wenn durch Bäume
am vorderen Bildrand, Buschreihen an „Horizont“ oder quasiarchitektonische
Rahmungen eine sich im Raum entfaltende Architektur suggeriert wird.
Wichtigstes „Baumaterial" der Schneiderschen Archipittura ist
freilich die Farbe. Mal ist es ein Grün und ein Blau, das den Gesamteindruck
prägt, mal ein Rot und ein Grün. mal ein Dreiklang aus Gelb,
Rot und Blau, der Volumina bildet und im gleichen Atemzug wieder auf die
Zweidimensionalität der Malerei verweist.— Von nicht zu unterschätzendem
Reiz sind übrigens die kleinformatigen farbigen Zeichnungen auf schwarzem
Papier, die der Künstler in Ergänzung zu seinem Ölbildern
im Vegesacker Haus am Wasser zeigt. Sie bestätigen ebenso wie Schneiders
großformatige Arbeiten, daß hier jemand seine ganz eigene,
unverwechselbare Handschrift gefunden hat.
Eröffnungsrede zur Ausstellung im Haus am Wasser
Autor: Hajo Antpöhler
Als ich dreizehn Jahre alt war, hatte ich in der Stadtbibliothek Delmenhorst
sämtliche Bücher über Architektur durch, erzählt Siegmund
Schneider. Zwanzig Jahre später macht er Architektur, moderne Architektur,
zum fast ausschließlichen Motiv seiner Malerei.
Der Malerei voraus gehen unzählige Skizzen von Bauten, keine Architektenskizzen,
sondern Zeichnungen nach bestehenden Bauten, oft berühmten Werken
der Architektur-geschichte, oder eigene „Erfindungen“, genauer:
Zusammensetzungen aus Bauteilen und Stilelementen moderner Architektur.
Die Skizzen entstehen nicht als Vorplanung eines bestimmten Bildes. Der
Anstoß, ein Bild zu malen, geht von der Lust auf Farbe aus, der
Lust auf einen bestimmten Klang, den Schneider untersuchen und entwickeln
möchte. Von der Farbe ist Schneider, wie man sieht, genauso besessen
wie von der Architektur.
Was Schneider jeweils mit Farbe vorhat, instinktiv, vom Gefühl her
und von der Lust, das steuert ihn beim Blättern in seinen Skizzen,
bis er ein Stück Architektur findet, das formales Gerüst werden
kann für die angestrebte Farbinszenierung•
Wenn in Schneiders Bildern die Farbe, die leuchtende Farbe zumeist oder
der aggressive Farbkontrast, die Außenwände der Architektur
besetzt, abstrahiert sie die Architektur. Denn moderne Architektur ist
nicht farbig, Schneiders Bild von ihr aber sehr.
Schneider abstrahiert noch weiter: seine Gebäude haben weder Fenster
noch Türen, kein Fensterraster stört die aufragende Monumentalität
der Farbflächen; Menschen kommen auf den Bildern auch nur ausnahmsweise
vor, die Umgebung der Bauten wirkt plan oder wie auf einer Reißbrett
Zeichnung. Würde man die schmalen Himmel- und Erdbodenzonen abdecken,
sähe man auf ein ungegenständliches Bild geometrischer Farbflächen,
das Räumlichkeit nur durch die Ausstrahlung der Farbwerte bekäme.
Schneider stellt Untersuchungen zur Farbe an, die andere Maler in rein
ungegenständlicher Malerei vortragen. Schneider malt nicht bedingungslos
ungegenständlich. Ich denke gegenständlich, sagt er. Außerdem
ist da sein Interesse an Architektur. Schneider bindet seine Malerei an
die Bedingung des Gegenstandes und nimmt sich dem Gegenstand gegenüber
die Freiheit zur Abstraktion. Er verbindet Gegenständliches und Ungegenständliches
in einem Bild.
Schneider abstrahiert auch die Umgebung der Architektur im Bild; Beispiel:
der grüne Himmel als Gegensatz zum Rot der Architektur im Bild „Ministerium“.
Noch deutlicher sind die Fälle, in denen Schneider Bäume oder
Gebüsch zu Füßen der Gebäude malt: da schmiert er
die Farbe dick und fast gestaltlos aufs Bild. Wir können sie zwar
als Gebüsch lesen, aber wichtiger ist, daß hier noch eine andere
Malweise ins Bild kommt als für die geometrischen Farbflächen,
deren malerische Behandlung ja auch schon differiert.
Schneider zitiert und addiert Malweisen in einem Bild;
das ist ein Vorgehen, das mit reiner, malereibezogener Malerei zu tun
hat, bei Schneider aber doch gegenständliche Lesbarkeit erlaubt.
Die Arbeit mit verschiedenen Malweisen und Stilen wird be-sonders deutlich
im „Fassadenmann“, dem gründerzeitlichen Stuck-Giganten.
Das Bild zeigt, wovor einst die Avantgarde in die Moderne geflüchtet
ist und wohin die Transavantgarde sich heute zurückträumt. Das
Bild fällt aus der Gleichartigkeit der übrigen ausgestellten
Arbeiten heraus, und das soll es auch. In unverschämter Weise geht
Schneider in Distanz zu seinem eigenen Stil und sagt: Ich kann auch anders,
Dogmen schmecken mir nicht. Die Kunstgeschichte mit ihrer Form- und Stilvielfalt
sollte nicht Verbotstafeln aufstellen, sondern Angebote machen, die man
wie Werkzeuge, einmal erfunden und dann bereitliegend zu allgemeinem Gebrauch,
benutzen kann.
Farbe und Form der Bilder begünstigen bei aller Kühle und geometrischen
Klarheit eine expressive Wirkung. Die Farbe ist für Schneider sowieso
mit Emotion besetzt. Wenn er, wie in „Ministerium“, gleiche
Formteile in perspektivischer Schrägstellung malt, so daß sie
von links nach rechts scheinbar wachsen, entstehen dynamische Diagonalen,
und ein gleichbleibender Beat bekommt einen mitreißenden Drive.
Ein Bild trägt im Untertitel den Namen eines englischen Volksliedes.
Ich kenne das Lied nicht, will es auch nicht kennen, um nicht interpretieren
zu müssen. Ich erwähne es, weil es zeigt, daß Assoziatives,
emotionales in der farblichen und formalen Klarheit der Bilder eingefangen
ist, das sich bei längerem Umgang mit ihnen deutlicher erschließen
wird.
Die gemalte Archiktur hat fast immer gewaltige Dimensionen. Sie wird stets
von unten gesehen, der Mensch wird klein vor ihr, wird klein gemacht von
ihr. Die überdimensionalen Bauten sind Ausdruck von Macht, die ihr
menschliches Gegenüber einschüchtern soll.
Die Bauwerke können begeistern. Hoch aufragende Doppeltürme,
die geradezu abheben in einen wie auch immer gefärbten Himmel hinein,
können mitreißen, können Ausdruck eines gehobenen oder
abhebenden Lebensgefühls sein.
Aber es kommt beim Ansehen der Bilder der Augenblick, in dem die Begeisterung
nicht mehr vorbehaltlos gelingt. Die Architektur der Größe
und der Macht wirkt unheimlich, bedrückend, drohend. Der Grad der
Bedrückung ist von Bild zu Bild verschieden, ist auch abhängig
vom Empfinden des einzelnen Betrachters. Für meinen Geschmack ist
das Unheimliche am deutlichsten greifbar in dem dunkelgrünen Bild
(im Atelierraum), bei dem ausnahmsweise ein Titel, „Wachtturm“,
in die entsprechende Richtung weist. Am ändern Ende der Skala gibt
es Bilder, die hinter Schönheit und Harmonie ihre Tücke verbergen.
Schneider möchte keine Bilder liefern, die einseitig verherrlichen,
und keine Bilder, die allzu offensichtlich nur kritisch sind. Er will
nicht den Weltausschnitt, den er malt, so einfach, so vereinfachend bewerten
nach Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Die Architektur der Machtausübung
und Einschüchterung hat ihre faszinierende Ästhetik. Aber die
Faszination ist gebunden an das, was uns klein macht, an die Niedertracht
der Macht.
Schneiders Bilder sind in Absicht und Wirkung ambivalent, doppeldeutig.
Sie wollen den Betrachter zum Zweifler machen, der die Widersprüche
nicht glättet, sondern mündig sich ihnen stellt.
Hajo Antpöhler
Ausstellung "Malmaison" im Kunstverein Ganderkesse,
1991, mit Sabine Hartung
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im Kunstverein Ganderkesee, 1991 |
Aus: „Punkt“, Heft 14, März 1991
Autor: U. O. -E.
Siegmund Schneiders großformatige Bilder sind auf den ersten Blick
bestimmt von Motiven, die an Architektur der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts erinnern. Die Konzentration auf Kolossales und Kultisches
dieser Zeit erfolgt durch das Aussparen dessen, was auf die Bewohnbarkeit/Benutzbarkeit
durch Menschen hinweist. Die Ge- und Verschlossenheit der wie Skulpturen
erscheinenden Gebäude wird durch eine differenzierte Farbgebung unterstützt.
Leuchtende und matte, ungebrochene Farbe und solche, die erst durch das
Zusammenschauen verschiedener Nuancen vor dem Auge entsteht, unterstützt
die Illusion von Gebautem, läßt es aber gleichzeitig ganz unwirklich
erscheinen. Da die Farbflächen gegeneinander abgegrenzt sind (manchmal
sogar durch aufgesetzte Linien), kommt dem Betrachter bei näherem
Hinschauen eine Reihe von Einzelbildern entgegen, jedes von ihnen ist
höchst sensibel durchgestaltet. Die bildnerischen Möglichkeiten:
Architektur, Bildhauerrei und Malerei werden vom Künstler bedacht,
und sie erscheinen miteinander verknüpft, gleichzeitig in jeder einzelnen
Arbeit. Ein solches Vorgehen weist über bildnerisches Handeln hinaus
und läßt die Möglichkeit von Vernetzung in andere Bereiche
aufkommen.
Aus: Ausstellungskatalog zur Ausstellung "Malmaison"
im Kunstverein Ganderkesse
Autor: Rainer Weisel
SIEGMUND SCHNEIDER
Form, Fläche, Farbe, Struktur kennzeichnen das künstlerische
Werk von Siegmund Schneider. Sie sind die bestimmenden Elemente im Anliegen
des Künstlers, in und mit seiner Malerei alle vorhandenen und neu
zu entdeckenden Fähigkeiten als Mittel der Erkenntnisfindung einzusetzen.
Dies erfordert vor allem, daß der augenblicklich beobachtete Zustand
eines Systems nicht als der Zustand des Systems als ganzes begriffen,
sondern daß er als bloß augenblickliches beschrieben wird.
Somit ist das Arbeitsergebnis nur begrenzt voraussehbar. Es ist stark
von den Ausgangsbedingungen abhängig. In der Farbwahl und in der
Art der Verarbeitung erfährt vor allem die emotionale Befindlichkeit
des Künstlers Ausdruck. Zum Beispiel trägt er Farbe ungleichmäßig
auf die Leinwand und übermalt sie mit Weiß, bis ein hell-milchiger
Hintergrund entsteht. Das Einsetzen einer Malerrolle bringt farbige Flächen
hervor. Eine Holzlatte, auf die rote Farbe aus der Tube gedrückt
wurde, schafft beim Abziehen auf der gelb eingefärbten Leinwand Zufallsstrukturen.
Den unterschiedlichen Arbeitsweisen liegt die Möglichkeit permanenter
Veränderungen im Schaffensprozeß inne. Meditation und Ekstase
markieren dabei Polaritäten, zwischen denen und über die hinaus
sich der Künstler bewegt. Siegmund Schneider bereitet den Bildraum
ungegenständlich auf, bevor er ihn durch malerische Strategie in
gegenständliche Malerei verwandelt. Dann treten strenge geometrische
Formeen in das Bild. Sie sind Ergebnisse unzähliger Skizzen, in denen
ein Problem aus unterschiedlichen Richtungen methodisch befragt wurde.
Linear – auf der Suche nach dem kleinsten unteilbaren. Zweidimensional
– im Untersuchen von Wechselwirkungen. Dreidimensional – im
Vernetzen von Systemen, die nicht miteinander in Verbindung zu stehen
scheinen.
Die dabei entstehenden Architekturformen können sehr wohl als Symbole
einer höheren Realität verstanden werden. Die Architektur ist
zum Ding, zum undeutbaren Gegenstand geworden, das heißt vom Menschen,
der sie einmal geschaffen hatte, abgelöst, abgetrennt, ihm entfremdet,
verdinglicht. Im spezifischen Gebrauch der Geometrie, im Umgang mit der
Perspektive und mathematischen Proportionen wird die inhaltliche Fremdheit
der Konstruktionen betont. Unterschiedliche Malweisen und das Verwenden
leuchtender Farben, die oftmals aggressiv kontrastieren, steigern und
überhöhen diese Wahrnehmung noch. Dennoch sind wir den Arbeiten
auf rätselhafte Weise weiterhin verbunden. Sie wirken auf uns faszinierend
und unheimlich zugleich. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das
Hermetische der dargestellten Bauwerke. Wir können uns als Suchende
weder in sie hinein noch aus ihnen heraus begeben. Auch Vorder- und Hintergründe
ge-ben uns nur bedingt Hinweise. Sie halten vor allem eine Leere fest,
auch wenn einzelne Gegenstände gleichsam als Träger oder Akteure
einer chiffrierten, undurchschaubaren Handlung auftreten und sich zwischen
ihnen unerklärliche Beziehungen entspannen. Wir mögen dabei
die Orientierung verlieren, ja sogar ortlos erscheinen. Der Versuch, in
eine naturalistische Form zu entfliehen, scheitert. Wir können uns
den Arbeiten Siegmund Schneiders entziehen, ließen damit aber die
angebotene Möglichkeit aus, der stets veränderlichen Wahrheit
unserer Existenz näherzukommen. Ich plädiere für die Annahme
derselben.
Aus: Delmenhorster Kreisblatt", 1991
Autor: Karl-Heinz Montag
Farbenprächtige Malmaison
Kunstverein Ganderkesee: "Bauklötze und Rosen" in der Försterei
Ganderkesee. Malsaison in der idyllisch gelegenen Ganderkeseer Malmaison:
Rosen für die Damen, Rosen für die Herren! Der Kunstverein Ganderkesee
weiß, was er Künstlern und Gästen bei einer Ausstellungs-Eröffnung
schuldig ist. In der Grüppenbührener „Försterei 11"
kommt der dornenreichen Naturgabe sogar doppelte Bedeutung zu: Denn neben
kubischer Architektur-Malerei des Delmenhorsters Siegmund Schneider sind
seit Sonnabend großformatige Rosen-Motive von Sabine Härtung
(Offenbach) auf dem kahlen, aber' faszinierenden Dachboden des Ausstellungsforums
zu sehen.
Für die farbenprächtigen Exponate ist der balkendurchzogene
Speicher ein kontrastreiches Terrain, wie nicht nur der Frankfurter Fotograf
Robert Hamischmacher angesichts der "kühlen" Atmosphäre
als Eröffnungsredner seinen ersten Eindruck treffend formulierte.
Schneiders "Prachtbauten" und Hartungs „Rosensammlung"
korrespondieren in ihrer leuchtenden Intensität mit dem vorherrschenden
Grau und Weiß des Försterei-Ambientes.
Schneiders Betonklötze sind mit brutaler Härte in die Welt hineinkonstruierte
Refugien unmenschlicher Kälte. Der Vergleich mit galaktischen Raumkreuzern
aus Science-Fiction-Filmen, realexistierenden DDR-Prunkbauten und der
nationalsozialistischen ReichsparteitagsrArchitektur ist durchaus angebracht.
Die ausufernde Wolkenkratzer-Ästhetik durchbricht alle Gesetze humanen
Lebens. Schneiders Monumente faszinieren durch ihre formschöne, wenn
auch abweisend-inhaltlose Unbewohnbarkeit. Gleichzeitig konfrontieren
sie den Betrachter mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft großstädtischen
Lebens, das dem Größenwahn gewaltiger Architektur-Komplexe
allzu gern huldigt.
Sabine Hartungs Rosen-Kreationen führen den Ausstellungs-Besucher
dagegen in Malerei-Welten. die die „Wirklichkeit übertreffen",
wie die 1965 geborene Künstlerin selbst ihre Motivation beschreibt
Mit Titeln wie "Pink Perfect", "Rouge Royal" und „Sugarfree"
umschreibt Härtung ihre Serienproduktion einer Blütenpracht,
die im krassen Gegensatz zur städtebaulichen Häßlichkeit
ihrer Heimstadt Offenbach am Main stehen.
Sabine Härtung verzichtet in ihren quadratischen Rosenbildern auf
Stiele, Blätter und Domen. Nur die Blüte interessiert. Die ROSE
als Symbol der Schönheit, Liebe und Tugend. Der Betrachter darf in
kräftige Farben wie Ziegelrot, Flammrot und Zyklamrot eintauchen.
Visueller Duft ist garantiert.
Daß Ausstellung-Duett von Sabine Härtung und Siegmund Schneider
ist bis zum 19. Mai in der Försterei 11 zu sehen. Öffnungszeiten
jeweils Dienstag und Donnerstag von 17 bis 19 Uhr, Sonntag von 15 bis
18 Uhr. Ein gelungener "Malmaison"-Katalog ist vor Ort erhältlich.
Karl-Heinz Montag
Aus: Delmenhorster Kurier 1991
Einmal mehr Überraschungskunst geboten
„Malmaison“ mit Sabine Hartung und Siegmund Schneider in der
Alten Försterei
Ganderkesee (me). Die Ausstellung mit dem Titel „Malmaison"
ist insofern keine Ausnahme, denn schon von Anbeginn bemühte sich
der Ganderkeseer Kunstverein um eine andere Art von Kunst als sie bislang
in etablierten Einrichtungen zu sehen war. Die Angesprochenen quittierten
die Konfrontation mit Visionen und Utopien, mit Klang- und Farbkompositionen
sowie flexiblen Installationen in dem großen lichtdurchfluteten
Speicher der Alten Försterei in Gruppenbühren stets mit zahlreichem
Erscheinen. Das Interesse an der Überraschungskunst ist also groß
geblieben, auch wenn sich die immer wieder verblüffenden Darbietungen
dem kritischen Betrachter nicht so schnell erschließen.
Darum hatten die Verantwortlichen der neuen Ausstellung auch einen gut
vorbereiteten Gast geladen, der sich als Phüosophiestudent in das
Oevre von Sabine Härtung und Siegmund Schneider mit überzeugender
Interpretation vertieft hatte. Seine Uberlegungen zu den Absichten und
möglichen Effekten der Bildeinfälle trugen dann auch zur Förderung
der Sensibilität jener Gäste bei, die nicht zum unmittelbaren
Freundes- und Verehrerkreis der Aussteller gehörten. »Malmaison"
- so lautet der nach Mai und Blumen duftende und blühende Titel dieser
neuen Ausstellung, die mit großen Pop- und Bildrosen von Susanne
Hartung und den Gast zunächst mit einer romantischen Aura umhüllt.
Dabei ist es immer der gleiche Blütenkelch, der sich rot und rosa,
gelb und orange darbietet, einladend, verführerisch, doch zugleich
von seltsamer Kühle und Starre. In eine Schablone gepreßt ist
das Sujet, und die Distanz dieser kühlen, vornehmen und hochgezüchteten
Blumengattung in ihrer vielfältigen Symbolgehalt verwundert und verwirrt.
Robert Harnischmacher sprach den meisten Zuhörern aus dem Herzen,
als er die Monotonie der Rosenbilder zunächst im Raum stellen ließ,
sozusagen als unabänderliche Vorgabe. Aber dann bot er im Namen der
Malerin doch die zahlreichen Interpretations- und Assoziationsmöglichkeiten
zu diesen gleichsam explodierenden Blüten dar und überließ
es den Betrachtern, aus dem Überangebot zu wählen, was er wollte.
Jedem seine Farben, Rosenvision. Ob allein die Sattheit der Farben und
die Größe der sich umeinander windenden Blütenblätter
allerdings die starren Schönen zum Leben erwecken kann? Für
manche bleiben sie, was bereits Gertrude Stein, viel zitiert, zur einzigen
Wahrheit erhoben hat: schön um ihrer selbst willen, denn „eine
Rose ist eben eine Rose ist eben eine Rose ..."
Siegmund Schneider, gelernter Fermeldetechniker und Absolvent der Hochschule
für Kunst- und Musik in Bremen, ist in Delmenhorst mittlerweile kein
Unbekannter mehr. Durch verschiedene Ausstellungen und als Gestalter der
OLB-Fassade hat Schneider mittlerweile einen festen Platz in der hiesigen
Künstlergemeinde. sein Angebot nun ist weitaus schwerer zu erschließen
als das seiner Rosen-Kollegin. Der distanzierte, gleichwohl emotional-gesellschaftskritische
Schneider wirbt mit einer kühlen kubistischen Architektur, mit geometrischen
Formen, die fenster- und türlos als reine ästhetisierende Objekte
in eine große farbige Bildfläche ragen. Auch seine Bilder bieten
zugleich Nähe und Distanz an: Nähe durch die ruhige, ausgeglichene
Komposition, in der Formen und Flächen feste, gesetzmäßig
verankerte Grundelemente darstellen, an die man sich halten kann. Auch
die farblichen Kompositionen, Zusammenspiel und Gegensatz, zeugen von
einem ebenso vitalen wie empfindsamen Farbempfinden. Die Kühle liegt
hier in den sich selbst genügenden geometrischen Formen. Wie Sabine
Härtung stets dieselbe Rose vorgibt, stellt sich auch Schneider mit
den stets gleichen geometrischen Formen und Flächen dar. Er verzichtet
bewußt auf Leben, Lebendigkeit durch inhaltliche Fülle. Alle
Formen streben vom unteren Bildrand zum oberen, stehen auf einem festen
Fundament und erinnern an kindliche Turmspiele mit Bauklötzchen,
die mit Jubel umgestoßen werden, wenn sie hoch in den Himmel geschossen
sind. Schneiders Türme aber scheinen für die Ewigkeit gebaut,
sie zeigen - vielleicht - die seelenlose gigantische Architektur eines
Jahr hunderts, das funktional und technisch denkt, in dem verwaltet, registriert
und konsumiert wird, in dem Gefühle und Natur nur noch einen fest
zugewiesenen Platz haben. Rot und Orange sind glühende, aufschreiende
Farben. Im Kontrast dazu das stechende Stahlblau und Gelb eines Himmels.
Aber daneben setzt Schneider auch in sich ruhende, harmonische Farbkompositionen,
in denen warme Töne überwiegen. Es ist also nicht nur die politische
Variante, die hier gespielt wird, es taucht die Vision eines griechischen
Tempels auf, als Bühnenbild vielleicht geeignet, als Andeutung eines
gestalterischen Elementes, das sich neuen Funktionen öffnet.
Die Ausstellung ist mit einem kostbaren Katalog versehen, dessen Geldgebern
der Vorsitzende des Kunstvereins zu Beginn der Ausstellungseröffnung
herzlich dankte. Die Arbeiten von Hartung/Schneider sind bis zum 19. Mai
in der Alten Försterei in Grüppenbühren zu sehen.
Ausstellung im Haus Coburg, Delmenhorst, 1992
Aus: „Punkt“, Heft 20, September 1992
Autorin: Barbara Alms
Siegmund Schneiders Malerei hat seit Jahren nur ein Thema: die Architektur.
Großformatige leuchtende Gemälde inszenieren Architekturteile,
die man schon einmal gesehen zu haben meint – trotz der Unwirklichkeit
der Farbkontraste und der Bodenlosigkeit der Konstruktionen, die eher
statische Unmöglichkeit darzustellen scheinen. In den frühen
Architekturbildern schimmert durch, was den 1953 geborenen Künstler
schon früh beschäftigte: die realen Beispiele der Architekturgeschichte,
insbesondere der 20er und 30er Jahre. Inzwischen hat er so abstrahiert,
daß sich auf der Leinwand die Farbwirkungen verselbstständigen
und ihr emotionsgeladenes Spiel treiben. Klare Formen und Flächen
rücken in eine spannungsreiche Stellung zueinander. Nicht ohne theatralisches
Pathos stellt er die Frage nach Raum, Farbe Architektur und Macht gleichzeitig.
Eröffnungsrede zur Eröffnung der Ausstellung
im Haus Coburg
Autorin: Barbara Alms
Mit dieser Doppelausstellung leistet die Städtische Galerie Delmenhorst
einen Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion um die Moderne. Im
Mittelpunkt steht eine Malerei, die – so will es auf den ersten
Blick scheinen – die Architekturideen des 20.Jahrhunderts im imaginären
Raum der Kunst zu einer faszinierenden, von Schönheit und Schrecken
bestimmten Gestalt treibt. Die Doppelausstellung folgt mit den Bildern
der jungen Kunst und geht der Frage nach: Wo stehen wir am Ende des 20.
Jahrhunderts, welche ästhetischen und geschichtlichen Lehren können
wir ziehen, haben wir den Utopievorrat verbraucht, wie es allerorten heißt,
hat die Moderne ihre humanen Ansprüche in den gesellschaftlichen
Umwälzungen verloren, welche Bilder eröffnet uns die junge Kunst?
Nicht umsonst entstehen diese Fragen im Spannungsfeld von Kunst und Architektur:
der Kunst, die radikal und irritierend Fragen aufwirft, der Architektur,
die in einem widersprüchlichen Feld unterschiedlicher Ansprüche
steht, in dem sich auch politische und Machtinteressen sichtbar und repräsentativ
äußern. Der öffentliche Raum, der Ort der Architektur,
ist immer auch ein geistiger und politischer Raum. Hitlers Formulierung
für die von ihm gewünschte monumentale Architektur: „Worte
aus Stein“ spricht eine beredte Sprache. Doch die Machtarchitektur
des faschistischen Deutschland mit ihrem neoklassizistischen Vokabular
ist nur eine extreme Zuspitzung der Architektur als politischem Instrument.
Den Zusammenhang zwischen der Politik und der Architektur des 20.Jahrhunderts
stellen wir zur Diskussion. Es geht bei dieser Doppelausstellung zentral
darum: die „Gesichter der Moderne“ – so hat auch Hartmut
Frank seinen Vortrag angekündigt – also: die mannigfaltigen
Gesichter der Moderne für einen genauen Blick jenseits vorschneller
Etikettierungen, jenseits einer euphorischen Heroisierung und jenseits
der modischen Verdammung, zu präsentieren. Stecken Sie die Architektur
der Moderne also nicht vorschnell in die Schublade der rechteckigen Kisten
und der seelenlosen Vorstädte, die übrigens vor allem in den
50er Jahren gebaut wurden und zwar da, wo man sich ästhetische Entscheidungen
glaubte sparen zu können. Schauen Sie hin auf die Vieldeutigkeit
der Formen und prüfen Sie den Willen zu Funktionalität und Schönheit,
fragen Sie nach Mannigfaltigkeit oder erzwungener Einfachheit, nach Lebendigkeit
oder Ödnis. „Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige
Spiel der unter dem Licht versammelten Volumen“. So heißt
es in der berühmten „Mahnung“, die Le Corbusier an die
„Herren Architekten“ richtete, und so können Sie es oben
im Aufgang zum 2. Stockwerk lesen. Mit dem Pathos des Aufbruchs der Moderne
erläutert er den universalen und den Kunstanspruch dieser Architektur;
er schreibt: „Unsere Augen sind geschaffen, die Formen unter dem
Licht zu sehen: Lichter und Schatten enthüllen die Formen; die Würfel,
Kegel, Kugeln, Zylinder oder Pyramiden sind die großen primären
Formen, die das Licht klar offenbart; ihr Bild erscheint uns rein und
greifbar, eindeutig. Deshalb sind sie schöne Formen, die allerschönsten.
Darüber ist sich jeder einig, das Kind, der Wilde und der Metaphysiker“.
Soweit Le Corbusier.
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im Atelier, 1992 |
Sind sich wirklich alle einig – so fragen wir uns heute in der
Moderne -Diskussion – , worin können wir uns einig sein? Ist
der Künstler einig mit jener geometrischen Welt der 20er Jahre, den
Aufbruchjahren der Moderne? Im ersten Augenblick sagen wir vielleicht
ja, wenn wir hier um uns schauen und die Bilder Siegmund Schneiders in
klaren und eindeutigen Formen und Farben zu sprechen scheinen. Ja, scheint
es nicht ganz einfach? Sprechen die Bilder nicht von Würfel, Kegel
und Zylinder, grundlegenden Formen, die, wie Le Corbusier sagt, „das
Licht klar offenbart“? Liegen sie nicht im gleißenden Licht
einer höheren, künstlichen Sonne, der Sonne der Vernunft? Wiederholen
sie nicht den soliden Glauben an Konstruktion und Geometrie und die aus
ihnen erwachsene Schönheit? Hier spätestens werden wir irritiert
stocken. Siegmund Schneider hat sich, seit er 13 ist, wie er sagt, mit
der Architekturgeschichte der 20er und 30er Jahre beschäftigt, mit
den verschiedenen Gesichtern der Moderne, aber auch mit der Machtsprache
der nationalen Überhöhungen, wie sie vor allem im faschistischen
Deutschland und in Italien entwickelt wurden. Eine weitere Rolle spielen
die sogenannten funktionalen Bauten der 50er und 60er Jahre in ihrer unterschiedlichen
Ausprägung in Ost und West. Dies alles ist schon zu Abziehbilder
in unserem Kopf geworden. Siegmund Schneider läßt sich entsprechend
auch von Spielzeug und Bauklötzern anregen. Es ist eine künstliche
Bilderwelt, die seine Gemälde eröffnen, obsessiv vorgetragen,
eine enge Motivik, ohne die Möglichkeit des Ausweichens. Gigantisch
überhöhte Architekturteile ragen in einen synthetisch erleuchteten
Himmel, bodenlos, von instabiler Konstruktion. Hier gibt es keine Menschen.
Hier gibt es keinen Schmuck, keine Öffnungen im Stein, keine Türen
und Fenster. Während Sie im Raum mit den frühen Arbeiten noch
stark zeichnerische Darstellungen sehen, Fundamente und Sockel, die noch
die Vorstellung eines fest gegründeten Baus nahelegen, die Darstellung
dem architektonischen Denken noch sehr nahe ist, entbehren die Architekturfragmente
der letzten Jahre dieser Grundlegung. Sie verlieren selbst die Fiktion
eines Ganzen. Sie sind Fragment. Sie sind ohne Zusammenhang und Rechtfertigung.
Sie entbehren der konstruktiven Logik und der Rationalität der perspektivischen
Zeichnung. Was die Farbigkeit angeht, so ist die Tendenz zu beobachten,
reine Farben zum Leuchten zu bringen. Ihre Wirkkraft wird durch die scharfen
Kontraste ins kaum Erträgliche gesteigert. Der mehrfache Farbauftrag
gibt den Farbflächen Tiefe bis hin zu einem welträumlichen Vibrieren.
Trotz der Einfachheit der Formen und Flächen also: von Ruhe keine
Spur. Im Gegenteil: von den Bildern geht eine große Beunruhigung
aus. Denn bei genauem Hinsehen wird deutlich: Was als Raum, als Dreidimensionalität
angelegt schien, schlägt bestürzend in Fläche um, d.h.
der Raum vernichtet sich in die Fläche. Es ist ein hochbrisantes,
bedrückend kalkuliertes Spiel zwischen Konstruktion und ihrer Zerstörung.
Die Architektur in ihrer malerischen Schönheit hat alle Zeichen des
Schreckens an sich. Die gesteigerte Form verselbstständigt sich,
wächst babylonisch in den Himmel, hat Rationalität und Humanität
verloren. Schwarz ist die radikalste Farbe. Seit dem schwarzen Quadrat
von Malewitsch durchzieht das Schwarz das 20.Jahrhundert, als Meditationsfarbe
und als Farbe der Zerstörung und des Nichts. Das Schwarz ist Ausdruck
der äußersten Abwendung von der Zerstreuung durch die bunten
Reize der Welt. In Siegmund Schneiders schwarzen Übermalungen wird
ein vernichtendes Resümee gezogen. Ich habe eben von Realität
und Humanität gesprochen. Das waren nun allerdings die Ansprüche,
mit denen die Architektur der Moderne angetreten war. Davon ist in den
Bildern Siegmund Schneiders nichts mehr zu spüren. Weit mehr, wenn
auch nur noch bruchstückhaft und wie zerbrochen, aber um so aberwitziger
triumphierend, erinnern die Architekturteile an die Repräsentationsbauten
und Dekorationen der Aufmarschplätze des Faschismus. Sie erinnern
weiterhin an die futuristische Architekturentwürfe eines SàntElias,
seine pathetisch vorgetragenen Bilder der Città Nova und des „italienischen
Stolzes“. Und es meldet sich in ihnen der grundlegende Zweifel an
der Moderne, die in den reinen Formalismus entglitten war, die Achse und
die Symmetrie zum Totschlaginstrument gemacht und die geometrischen Formen,
ohne hinzuschauen, für gut erklärt hat. Wo sie zum ästhetischen
Spiel nicht mehr fähig waren, begegnen sich die feindlichen Geschwister.
Wie der namhafteste Architekturmaler des 20.Jahrhunderts, Giorgio deChirico,
– und mit diesem Hinweis möchte ich schließen –
wie deChirico aktualisiert Schneider „eine unsinnige und gefährliche
Schönheit“ (deChirico). Aber während de die Symbole der
Entleerung noch auf seine steinernen und einsamen Plätze verortete,
ist für Siegmund Schneider aller Zusammenhang unterbrochen. DeChirico
konnte noch von einer „metaphysischen Kunst“ sprechen, er
konnte also noch universale Entwürfe für sich in Anspruch nehmen.
Siegmund Schneider wiederholt obsessiv Bildfragmente einer nur noch künstlichen
Welt, die, monumental geworden, alle Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit,
alle Humanität und den Bezug zum Universalen verloren hat. Kunst
ist nicht, wie das in der „Erlebnisgesellschaft“ manchmal
erscheint, der Ort des widerstandslosen Genusses oder der Bilder von einer
heilen, humanen und sozialen Welt. Wir müssen uns auf einen Weg ins
Unerklärliche machen, und wir können das Rätselhafte und
Irritierende nur umschreiben, das die grundlegende Qualität der Kunst
ist.
Aus: Weserkurier, 1992, zur Ausstellung im Haus Coburg
Autor: Nils Aschenbeck
Die Schrecken, die in der modernen Architektur überall lauern, will
der Künstler Siegmund Schneider offenlegen. Seine großformatigen
Arbeiten werden im Haus Coburg parallel zu den Fotografien gezeigt.
Der 1953 in Delmenhorst geborene Schneider hat sich in den letzten Jahren
vor allem mit der monumentalen Darstellung von Architekturelementen beschäftigt.
Seine Bilder erinnern an faschistische Großbauten oder an futuristische
Entwürfe. Doch seine Konstruktionen besitzen keine Logik. An keiner
Straße der Welt sind die Teile, die von einer künstlichen Sonne
beschieden werden, zu Hause; und doch – sie sind uns wohlbekannt,
sie erzeugen in jeder deutschen Vorstadt ein bestürzendes Déjà-vu.
Die Elemente der Moderne werden von Schneider isoliert, ihre brutale Kraft
wird bloßgelegt. Alle Baudetails, die auf das Leben verweisen –
Fenster, Schmuckelemente oder Briefkästen – läßt
der Künstler beiseite. Für ihn sind Bauwerke gesichtslose Ungetüme,
deren Wirkung den Betrachter in den Bann zieht und gleichzeitig abstößt.
Er kann sich auf Le Corbusier berufen, der bereits 1923 schrieb: “Architektur
ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem
Licht versammelten Volumen”. Eine Aussage, die wie ein Leitspruch
über dem Treppenaufgang der Galerie prangt.
Siegmund Schneider ist ein Schüler der Moderne. Doch die ästhetischen
Dogmen eines Le Corbusier führt er auf ihren zynischen Kern, bereinigt
von allen Utopien. Dazu benutzt er grelle Farben, die unvermittelt aufeinandertreffen.
Er überspitzt Perspektiven und verzichtet auf Horizonte. Auch die
Dreidimensionalität der Elemente fällt zurück in eine monotone
Flächigkeit. Seine Arbeiten reduzieren die moderne Architektur auf
eine interne Logik: Hinter der Schönheit lauert der Schrecken. Hinter
dem eleganten Kubus lauert die zeit- und ortlose Profanität der ewig
gleichen Fläche.
Aus: Delmenhorster Kreisblatt, 1992, zur Ausstellung im
Haus Coburg
Autor: Karl-Heinz Montag, Delmenhorst.
Variationsprinzip des Legosteins
Schneiders Fließbandproduktion und eine klug gewählte Fotoschau
Immer, wenn Galeristin Barbara Alms zur großen Predigt über
die Moderne ansetzt, ist bei Skeptikern Vorsicht geboten, in wieweit das,
was in der Städtischen Galerie als gewollt provokante, zeitkritische
Reibung ausgehängt wird, auch wirklich mehr bietet als einen schnell
konsumierbaren Side-step in die Avantgarde. Dabei werden oft Teilansichten
aufgefächert, die deutlich machen, das diese moderne Malerei tatsächlich
längst ihren „Utopievorrat** (Alms) verbraucht hat und am Ende
ihres Weges in die flächige, fließbandmäßig produzierte
Langeweile angelangt zu sein scheint.
Die aktuelle Doppelausstellung im Haus Coburg mit großformatigen
Werken von Siegmund Schneider, Delmenhorster Stadtstipendiat 1991/92 und
gerade zum Macher des neuen Jahresplakates mit dem bezeichnenden Titel
„Legoland avanciert -und die kleine, aber umso sehenswertere Auswahl
von Architekturfotos der 30er Jahre, hinterläßt in ihrem bewußten
Kontrast einen eher faden Nachgeschmack. Auch wenn die kritische Auseinandersetzung
mit Schneiders bunter Bilderflut lohnt, die Lust auf Kunst bleibt gering.
Schneider versucht seit Jahren, architektonische Formen zu vereinfachen,
auf das absolute Mindestmaß zu reduzieren, um damit neue Wirkungen
zu erzielen. Eine obskure, monumentale Mischung aus Schrecken und Schönheit
soll dem Betrachter Radikalität vorgaukeln. Dabei ist nur die Künstlichkeit
dieser „Bilderwelt“ radikal inszeniert: Grelle, kräftige
Farben und gigantische Fragmente wie Fundamente, Sockel, Säulenreste
und. andere geometrisch exakt konstruierte Körper beherrschen die
Bildinhalte. Schneiders Form-Reduktionen haben monströsen Charakter,
der massive Farbeinsatz beansprucht zusätzlich dass Auge. Versöhnlich
in manchen Bildern der mehrfache Auftrag, der bisweilen zu herrlicher
Leuchtkraft führt.
Doch dieser Aspekt kann den Eindruck von Gefälligkeit, Glätte,
eisiger Kälte nicht wegfärben. Schneiders strenge Werke bieten
menschenleere Szenarien, bestens geeignet für das durchgestylte Chefbüro
in einem Wolkenkratzer. Sehr dekorativ, Macht ausstrahlend und trotz der
kräftigen Farbkontraste synthetisch und menschen-verachtend in der
Wirkung. Too much, einfach zuviel.
Der 38jährige Künstler will scheinbar diese Schaffensperiode
beenden. Diesen Ein-druck vermitteln die grau-schwarzen Exponate. Hier
wird seine endzeitliche Reduzierungsvorstellung mit zerstörerischer
Verachtung punktgenau formuliert. Ein Abschied von einer ausgiebig angewandten
Methode?
Teil zwei der Coburg-Ausstellung ist der Modernen Architektur mit Schwerpunkts
auf den 20er und 30er Jahren gewidmet. Aus der Sammlung des jungen Nümbergers
Peter Gössel (auch zuständig für die Konzeption des Industriemuseums)
wurde eine
Foto-Reihe zusammengestellt, die funktionale Bauwerke wie Wohnhäuser,
Fabriken und andere Zweckbauten von Architekten wie Le Corbusier, Gropius
und Aalto unverstellt mit ihren negativen wie positiven Begleiterscheinungen
wieder in den Blick rückt. Die kalte Größe und die klare
Funktionalität blendet, fasziniert und erschreckt zugleich.
Gössels Plädoyer für diese variantenreiche Baukultur bei
der Eröffnung brachte diese Aspekte voll zum tragen. In der Foto-Auswahl
befinden sich neben amerika-nischen Repräsentativbauten und Bauhaus-Klassikern
auch „Machwerke“ des Dritten Reiches, so das Haus der Deutschen
Kunst (München, 1937) und die Deutschland-Halle (Berlin, 1936), die
dem menschenverachtenden Größenwahn das Wort redet, Aber auch
die gezeigten Wohnsilos aus späterer Zeit, montiert im fragwürdigen
Fertigteil-Konformismus, weisen mit ihrem sozialen Sprengstoff ebenfalls
in eine inhumane Richtung.
Aus: TAZ Bremen, 1992
Faschismus bzw. Avantgarde
In Delmenhorst: Eine sehr irritierende Austeilung über die Architektur
der Moderne
War die Architektur des Faschismus die notwendige Fortentwicklung der
großartigen Baukunst der Moderne? Oder war die neoklassizistische
Beeindruckungsarchitektur eines Paul Ludwig Troost oder Albert Speer eine
Fehlentwicklung der Bauhaus-Avantgarde. die sich ja der Rationalität
und Humanität verschrieben hatte?
Verwirrt und nachdenklich verläßt man die Stddtiscfie Galerie
Delmenliorst, die dieser Tage zu einer sehenswerten und klug komponierten
Doppelaus-stcllung einladt. Zum einen werden historische Fotos zur Architektur
der Moderne (Sammlung Gössel) gezeigt. Und dazu präsentiert
die Galerie einen Sohn und Stipendiaten der Kreisstadt namens Siegmund
Schneider, der sich mit den Mitteln der Malerei seit vielen Jahren mit
Architektur beschäftigt.
Siegmund Schneider bewundert die kalte Ordnung der Architektur von Gropius.
Le Corbusier. Hans Scharoun — und kritisiert sie zugleich. Er ist.
so scheint es, auf der Suche nach der Idee der Moderne, ihrer Substanz,
und stößt immer wieder auf die schöne, böse. menschenfeindliche
Form als Resultat der Arroganz der Macht. Große Leinwände bearbeitet
er mit reinen Farben, gern komplementär gegenübergestellt. Die
Farbkontraste. schmerzhaft fürs Auge. bestimmen das Bild von synthetischen
Stadtlandschaften: extrem fluchtende Gebäudekanten haben eine stark
räumliche Wirkung, die aber durch „falsches" Licht und
„unmögliche" Proportionen immer wieder destruiert wird.
Schneider ästhetisiert auf Teufel komm raus — und der Teufel
ist die gesichtslose Macht, die diesen Stadtlandschaften alles Lebendige
austreibt. Selbst sehr malerische Teile seiner Bilder, die scharf gegen
die anderen monochromen Flächen abgesetzt sind. wirken nur wie Dekor:
seelenlos.
Steigt man der Galerie unters Dach, ist man plötzlich in einer ganz
nüchternen Ausstellung kleinformatiger Fotos, die es einem nicht
leicht macht. Der Nürnberger Gestalter und Ar-chilekturhistoriker
Peter Gössel hat zum Thema „Um 1930" Bilder zur Verfügunggestellt.diean
die architektonische Formen-Sprache der vor-postmodemen Zeit seit dem
Bauhaus erinnern. Da sind Fotos von Privathäusern, „Ikonen
der Moderne", etwa eines Mies van der Rohe oder Le Corbusier. Als
Beispiele für einen internationalen Stil werden Wolkenkratzer aus
des USA gezeigt. Daneben, unauffällig eingereiht, Architektur des
italienischen und deutschen Faschismus. aus Mailand, Berlin, München.
Bezüge, die zu denken geben, wie auch der Beitrag von Ford/USA für
die Weltausstellung 1939: ein gewalttätiger Tempel der Macht, mit
einer theatralischen Lichtregie ausgeleuchtet, die für jeden Reichsparteitag
gut gewesen wäre.
Eine überaus beunruhigende Ausstellung, die einen etwa vorhandenen
Regriff von „faschistischer Ästhetik" nachdrücklich
irritiert.
Die Würfel, Kegel, Kugeln, Zylinder oder die Pyramiden sind die großen
primären Formen, die das Licht klar offenbart! ihr Bild erscheint
uns rein und greiftar, eindeutig. Deshalb sind sie schöne Formen,
die allerschönsten. Darüber ist sich jeder einig, das Kind,
der Wilde und der Metaphvsiker,
postulierte Le Corbusier.
Die strenge Linie im Bauen der Gegenwart hat einen Sinn, der durch keine
Ablehnung der Sachlichkeit aus der Welt zu schaffen ist: sie steht in
enger Verbindung mit der straffen willensmäßigen Bearbeitung
der Wirklichkeit, die dem heute lebenden Geschlecht zur Pflicht geworden
ist. Ein Projekt für tausend Jahre. Der letzte Satz stammt von Wilhelm
Michel, einem Architekturkritiker, 1934 geschrieben. Bis bis zum 25.10.
Ausstellung in der Galerie Cornelius Hertz, Bremen1992
Einladungskarte zur Ausstellung in der Galerie Cornelius
Hertz, 1992
Autor: Rainer Weisel,
|
Galerie Cormnelius Hertz, im Gespräch mit H.
Antpöhler |
Nein, diese Ausstellung wird nicht von Sony gesponsort. Einige flüchtige
Blicke auf die Arbeiten des Delmenhorster Künstlers Siegmund Schneiders
erwecken gegebenenfalls den Eindruck, die hier entstandenen Architekturformen
seien ein Gegenentwurf zu Sir Norman Fosters vorliegender Planung im Auftrag
der Daimler-Benz AG für die zukünftige Gestaltung „Deutschlands
neuer Mitte“. Dem ist nicht so. Wenn Siegmund Schneider die Architektur
zum fast ausschließlichen Motiv seiner Malerei erhebt, geschieht
dies nicht zum Zwecke ideologischer Verwertbarkeit oder gar zur Statuisierung
von Macht. Den strengen geometrischen Formen gehen eine Vielzahl von Skizzen
voraus. In ihnen befragt der Künstler die Gegenstände nach ihrem
Sein. Er begibt sich damit in die schwierige Auseinadersetzung des Verhältnisses
von Objekt zu Subjekt. Denn ein Gegenstand, ein Objekt, steht nicht für
sich selbst, sondern gegen etwas anderes. Die Konstruktionen, die dabei
entstehen, weisen den Weg der Entmaterialisierung. Die Architektur ist
undeutbar geworden, vom Menschen abgelöst, ihm entfremdet, verdinglicht.
Sie steht nicht für Realität, sondern für Relation. Wenn
wir uns in dieser Relation überhaupt noch wiederfinden, ist unser
Platz bescheiden. Der Zugang zu den Bauwerken bleibt uns verschlossen.
Sie sind hermetisch. Die Orientierung fällt uns schwer. In ihrer
Monumentalität können sie uns erdrücken, aber eventuell
auch ihren eigenen Fall herbeiführen. Die Basis, auf der sie gründen,
ist in den jüngeren Arbeiten sehr schmal geworden. Und sie benötigen
dann zusätzliche Träger, die den Eindruck der Fragilität
noch unterstreichen. Es ist sicherlich nicht überinterpretiert, hier
vom augenblicklichen Festhalten eines Schwebezustandes zu sprechen, der
sich im nächsten Moment verändern kann und wird. Die fliegenden
Bauten, die Siegmund Schneider von der Seite heraus in den Bildraum entwickelt,
verdeutlichen dabei eine konsequente Radikalisierung in seinem Schaffen.
Das wir uns bei allen Unwägbarkeiten in diese Bilder hineinbegeben
werden, geht von der intuitiven Wirkung aus, die die Wahl und die Art
des Auftrags der Farbe in uns erzeugen. Hier spüren wir die Emotionalität,
die den Maler in der Lust auf Farbe getrieben und inspiriert hat. Wenn
Siegmund Schneider sich dabei nach eigener Aussage zwischen Meditation
und Ekstase bewegt hat zum Beispiel der Kaffesatz keine Chance, gelesen
zu werden, – er wird als Bildträger verwendet. Oder eine Holzlatte,
auf die rote Farbe aus der Tube gedrückt wird, ersetzt den Pinsel
und schafft beim Abziehen auf einer gelb eingetönten Leinwand Zufallsstrukturen.
Oder es entstehen leuchtende Farbflächen, die kontrastieren und dialogisieren.
In der Gesamtheit spannt sich somit ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht,
dessen Anfang und auch Ende völlig offen ist. Wir sollten nicht darüber
bestürzt sein, daß beim Besuch dieser Ausstellung das Vertraute
stürzen kann.
Aus: Weserkurier 1992, zur Austellung in der Galerie Cornelius
Hertz
Autor: Detlef Wolff
Architektur als Malerei
Der 1953 geborene Maler Siegmund Schneider kennt momentan nur ein Hauptthema:
die Architektur. Allerdings entnimmt der Waller-Schüler seine Motive
nicht der vollen Realität bereits vorhandener Baukomplexe. Vielmehr
entwirft er Architektur als Utopie und vage Möglichkeit. Und auch
das nur bedingt. Er macht auf seinen Leinwänden zum Beispiel keine
Vorschläge für die Gestaltung urbaner Umwelt. Das Resultat wären
kühle und wenig menschenfreundliche Städte. Indem sich vor Schneiders
Bildern diese Vision einstellt, erweist sich doch ihr indirekter Bezug
zur Realität. Auf den Leinwänden werden sonst überwiegend
Einzelelemente von Architektur freigesetzt und zum Anlaß für
Malerei genommen. Davon kann man sich bis zum 6. März in der Galerie
Cornelius Hertz (Richard-Wagner-Straße 22) überzeugen.
Details sind es, die den Künstler primär interessieren. Kühn
läßt er Bögen in den Raum hineinstoßen oder Träger
aufeinandertreffen, ohne dabei Probleme der Statik zu berücksichtigen.
Wuchtige Quader können auf dünnem Gestänge ruhen. Wichtig
ist dabei zunächst nur die Geometrie der Formen. Ihr Verhältnis
zueinander steht als Kompositionsaufgabe zur Lösung an. Daraus resultiert
auf der folgenden Entstehungsstufe die Untersuchung von Proportionen zwischen
Masse und Fläche. Auf den Leinwänden entstehen dabei im Extremfall
Architekturlandschaften mit Modellcharakter. Eine Funktion wird ihnen
nicht zugewiesen.
Unter den Prämissen seines Schaffens ist dieser Aspekt auch unerheblich.
Denn letztlich geht es hier um Farbe: Bis zu ihrem Eintritt in die Ensembles
könnten derart konzipierte Werke noch als Reißbrettzeichnungen
existieren. Aber indem die monumentalen Komplexe nun als Farbkomplexe
in Erscheinung treten, kommt es zu dramatischen Veränderungen ihrer
Erscheinungsweise. Vor wechselnden Hintergründen können ähnlich
angelegte Bilder höchst unterschiedlich wirken. Und hier macht der
Begriff Farbtemperatur einen Sinn. Eindringlich wird vorgeführt,
wie Farbe kühle oder warme Stimmungen erzeugen kann, Gewichte verändert,
geradezu Einladungen ausspricht oder abweisende Atmosphäre erzeugt.
Wobei Malen hier wiederum nicht anstreichen meint. Schneider arbeitet
die Flächen sorgfältig durch. Legt Schichten übereinander,
wechselt immer wieder den Pinselduktus, schafft auf engem Raum Durchbrüche,
aus denen Schwingungen oder Vibrationen resultieren. Und es ist dann solche
Sorgfalt im Detail, der diese Malerei in der gegenwärtigen Kunstsituation
ihre Besonderheit verdankt.
rechts: Atelierhofgalerie, im Gespräch mit M. Heinz-Hoek, 2010 |